Sofie rennt
Wenn so ein Riesenpfadfinderverband wie der VCP ein Bundeslager veranstaltet, geschehen die merkwürdigsten Geschichten. Dass der Platz aufgrund einer Unwetterwarnung mit allen 4.500 Leuten „geordnet geräumt“ (nein, nicht evakuiert!) wurde, ist ja mittlerweile schon eine Standardanekdote in der bündischen Szene. Aber es hätte noch mehr zu berichten gegeben: Die aggressiven Aufwallungen jeden Morgen, wenn das hessische Teillager den Platz mit Helene Fischer beschallen musste (Liebe Hessen: Was hat euch da eigentlich geritten?!?). Der in Nut-und-Federtechnik wunderschön nachgebaute Zechen-Förderturm. Der Weltrekordversuch im Murmelbahnbau. Die Wellnessoase mit holzofenbetriebenem Pool und Sauna. Die Theke in der Oase „Glück auf“, eine Tischler-Sonderanfertigung, die eine Kipplorenbahn inklusive Kohle nachahmte. Und dann wurde da noch ständig ein kleines blaues Sofa über den Platz getragen. Da fragt man sich: Warum machen die sowas?
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Darauf gibt’s natürlich nur eine Antwort: Weil’s geht.
Moment mal – ein Sofa wurde rumgetragen? Ist das die Bestätigung für all jene, die immer schon wussten, dass der VCP eine Ansammlung von Couch Potatoes ist?
Eigentlich kommt die Idee ja aus Norwegen. Die knallharten Wikinger dort oben im hohen Norden haben sich eine ziemlich krasse „Challenge“ für ihre Ranger und Rover (die Altersgruppe der 16-21jährigen) ausgedacht: Transportiert ein Sofa mit eurer R/R-Runde 100km weit. Alles, was einen Motor hat, darf nicht benutzt werden. Dafür gibt es ein Abzeichen – das Sofa-Badge. Fertig ist die Challenge.
Wir fanden die Idee extrem lustig und haben sie für das Ranger-/Roverzentrum im VCP Bundeslager adaptiert. 100km war uns ein bisschen zu viel, das Ganze sollte an einem Nachmittag zu absolvieren sein. Aber einmal rund um den 4.500 Leute fassenden Platz und dann rauf auf den Berg Schachen (796 Meter hoch) – das wär doch eine Herausforderung, die durchaus in das Zeitbudget einer vielbeschäftigten Ranger-/Roverrunde während des Bulas passen könnte. Spielregeln: Maximal 5 Leute, nichts benutzen, was einen Motor und/oder mehr als drei Räder hat, einmal rund um den Platz und vor jedem Teillager-Café ein Foto machen, und dann rauf auf den Schachen und vor dem Hospital ein Foto machen. Dafür gibt’s dann das Badge.
Wir haben durchaus erwartet, dass diese Challenge ihre Fans finden würde. Womit wir nicht gerechnet haben, war, dass ab Tag zwei die R/R-Runden bei uns Schlange standen und Drohungen und Bestechungen ausgestoßen wurden, nur um in der Warteschlange vorgelassen zu werden. Schon in der zweiten Nacht war das „Sofie“ getaufte Sofa so begehrt, dass es aus der Ranger-/Rover-Jurte entführt wurde. Die Lagerwache wurde informiert, Lösegeldzahlungen wurden gefordert, Prügel angedroht, und Sofie schließlich unbeschadet wieder hergegeben. Dann lief sie wieder – rund und rund um den Platz, auch vor (!) und nach den Öffnungszeiten des R/R-Zentrums. Sofie beglückte den Lagerrat mit einer kleinen Klettervorstellung vor der Lagerrat-Jurte (sie wurde für ein Foto auf einem großen Heuballenberg geparkt), ganz verrückte Runden versuchten den Geschwindigkeitsrekord zu brechen (er lag dann zum Schluss bei 28 Minuten für die volle Runde mit Sofa), und unsere Bundesvorsitzende wurde natürlich auch mal darauf rumgetragen. Der Kreativität der Ranger und Rover, was man alles während eines VCP-Bundeslagers mit einem Sofa anstellen kann, waren offenbar keine Grenzen gesetzt.
Dann kam der Sonntag, der Tag der Evakui… , oh sorry, der „geordneten Räumung“. Als die rote Fahne hochging, das Zeichen zur Platzräumung, war Sofie natürlich unterwegs. Wir Mitarbeiter im Ranger-/Roverzentrum waren zunächst zu beschäftigt, um festzustellen, dass Sofie nicht zurück gekommen war. Als das Unwetter vorbei gezogen war und wir um Mitternacht unser Schutzzelt verlassen durften, da begannen wir uns Sorgen zu machen. Wo war Sofie? Stand sie irgendwo einsam und verlassen in Regen und Sturm? Kurze Bitte über Funk an die heimgehenden Mitarbeiter uns doch zu informieren, falls jemand unserem Sofa begegnen sollte. Das hätten wir mal besser nicht gemacht – die halbe Nacht funkten irgendwelche Witzbolde nun falsche Sofa-Fundmeldungen zurück und verärgerten damit die, die lieber schlafen wollten, und hetzten uns über den halben Lagerplatz. Sofie blieb verschwunden.
Was war geschehen? Als die rote Fahne hochging, wollte sich die R/R-Runde, die Sofie gerade rumtrug, nicht von dem schwer erkämpften Sofa trennen – also setzen sie sich erst mal drauf und warteten ab, ob vielleicht Entwarnung käme. Kam aber nicht. Also wurde Sofie kurzerhand in der eigenen Stammesjurte sicher gestellt (nicht, dass jemand während der Abwesenheit ihrer Träger mit dem Sofa durchgeht). 23h später wurde Sofie im Triumphzug wieder im Ranger-/Roverzentrum abgeliefert, wo schon wieder die ersten Räumungs-Überlebenden auf sie warteten, sie gleich schnappten und wieder mit ihr los zogen.
Nach acht Tagen Bula schließlich war Schluß. Die letzten Sofa-Badges waren vergeben. Von ursprünglich vier Sofa-Füßen war nur noch einer vorhanden, und der hing nur noch lose an Sofies Unterseite. Sie war nass geregnet worden, ihre Unterseite aufgerissen und voller Schlamm. Das Zeitliche hatte dieses Sofa gesegnet. In einer letzten Trageaktion wurde sie in einen Bulli geladen und zum Sperrmüll gebracht. Ein schnödes Ende für unsere Heldin.
Aber eines ist klar: Sofie wird wieder aufstehen. Beim nächsten Bula 2017. Und dann heißt es wieder: Sofie rennt.
Hintergrund-Info: Auf dem VCP Bundeslager 2014 gab es zum ersten Mal kein eigenes Teillager für die Altersgruppe der 16-21jährigen Ranger und Rover, sondern ein zentrales Ranger-/Rover-Zentrum. Diese Entscheidung war aus der Erkenntnis heraus gefällt worden, dass ein eigenes Teillager die weit überwiegende Mehrzahl der eigentlich auf dem Bula anwesenden Ranger und Rover nicht erreichen kann, weil diese überwiegend in ihren Stämmen als Mitarbeiter unterwegs sind. Das Zentrum wollte mit halbtägigen Workshops und Veranstaltungen, Walk-In-Activities wie einer Nähwerkstatt oder den Handy-Auflade-Fahrrädern und kleinen Challenges wie Geocaches und dem Sofa-Badge allen Rangern und Rovern auf dem Platz die Möglichkeit geben, Programm für ihre Altersstufe nach ihrem eigenem Zeitplan zu erleben.
Liebe Chrissy,
diese schreckliche Beschallung mit Musik aus der Konserve war nicht von den Hessen. Im VCP Hessen wäre das undenkbar. Im Gegenteil: Nicht wenige unserer Stämme Fähren wegen so etwas nicht auf Bundeslager.
Gut Pfad Lars
Hi Lars,
ich war nie vor der betreffenden Bühne, wenn das Lied gespielt wurde, und bin deshalb in punkto Herkunftsort der Beschallung auf den Lagerbuschfunk angewiesen. Die Richtung stimmte jedenfalls, und man hat mir mehrfach versichert, es käme von den Hessen, gerade weil man es von dort niemals erwarten würde, werde es gespielt. Aber sollte es doch nicht das TL Hessen gewesen sein, dann entschuldige ich mich an dieser Stelle gerne für den Zuordnungsfehler und wüßte gerne, wer denn dann dafür verantwortlich war? LG, Chrissi
Hi Chrissy,
ich habe zwar eine Vermutung, welches TL es war, aber da ich es nicht wirklich weiß, werde es keines konkret nennen. Ich weiß aber sicher, dass das TL Hessen sich darüber genauso geärgert hat wie Du.
Gut Pfad Lars