„Do you now Jirgen Klinsmähn?“
In unruhigen Zeiten mit dem Motorrad unterwegs im Iran.
„Ahoi Tschaidra, sach mal, hast Du Lust, für schwarzzeltvolk über Deine mega geniale tolle Motorradfahrt etwas zu schreiben? Also ich fände es total interessant, etwas darüber zu erfahren, was ältere Bündische noch so alles machen. Es gibt bestimmt auch tolle Bilder. War nur ein spontaner Einfall von mir. Sag doch mal, was Du davon hältst. Ganz liebe Grüße aus Berlin, Ebba“
Nun denn. Im Mai dieses Jahres sind wir losgefahren – quer durch Österreich, Italien, Griechenland und die Türkei. Wir, das sind drei „ältere Bündische“, die ihre aktive Zeit in der CP, im NWV und in der EJ HORTE erlebt haben, die als Pimpfe mit Affe und Kohte durch die Lande getippelt sind – oder, dann schon etwas älter, mit dem in die Luft gereckten Daumen unterwegs waren. Später führten unsere Fahrten in verrotteten Enten und Käfern, meist von Schrottplätzen billig ergattert, uns nach Norwegen, Schweden, Finnland oder auch Afghanistan. Was uns drei Straßenbrüder heute noch eint und was immer noch wie eine Droge wirkt, ist unter anderem die Neugier, was uns hinter der nächsten Kuppe, der nächsten Kurve, …der nächsten Grenze erwartet. Nachdem wir in den vergangenen Jahren in der Türkei, Georgien, Armenien, in Syrien und Jordanien auf zwei Rädern unterwegs waren, war es eigentlich nur logisch, dass wir beschlossen, dieses Jahr in den Iran zu fahren.
Was musste ich mir in der Planungsphase alles anhören: „Was, du willst mit dem Motorrad in den Iran fahren, bist du krank?“ Frauen finden noch deutlichere Worte: „Wie kann man nur freiwillig in ein Land gehen, in dem Frauen unterdrückt werden?“ Andere sagen: „Toll, wie mutig von dir!“ Was denn daran mutiger sei, in den Iran zu gehen, als etwa nach Amerika, frage ich zurück. Na, im Iran gibt es doch die Taliban… und außerdem sei dort Facebook verboten (!). Ich habe schon schlucken müssen, als ich die Bemerkungen mit den Taliban hörte. Ohne Zweifel: Der Iran ist kein Rechtsstaat. Laut Amnesty International wurden dort allein im Jahr 2012 mehr als 500 Todesurteile vollstreckt. Wer politisch aufmuckt, kommt schnell ins Gefängnis. Aber hat das westliche Urlauber bislang abgehalten, Ägypten, China oder andere Autokratien zu besuchen? Man muss genau hinsehen. Im Iran herrschen nicht die Taliban. Das Land befindet sich nicht im Krieg. Und die in schwarze Tschadors gehüllten Frauen der Sittenpolizei habe ich zumindest nirgends gesehen…
Die gesamten Eindrücke und Erlebnisse unserer mehr als sechswöchigen Fahrt zu schildern, würde den Rahmen sprengen und ich denke, dem interessierten Leser ist es heutzutage ohne weiteres möglich, sich mit ein paar Mausklicks Informationen über dieses Land, seine jahrtausendalte Geschichte und Kultur sowie die derzeitige politische Situation in den aktuellen Medien oder auch zwischen Buchdeckeln anzulesen. Ich werde mich daher bei meinen Ausführungen auf wenige Episoden und ein paar Bildchen beschränken.
Es ist wie im Zoo,
nur dass wir die Affen sind! Während unserer Fahrt haben die Teilnehmer verschiedene Aufgaben übernommen. So kümmert sich z. B. einer um Karten, Route und Tagesstrecke, der andere um die Funktionalität der Maschinen und ich darf mitunter auch Aufgaben eines Wachhundes übernehmen. Sind die Motoren aus und die Motorräder abgestellt und die Gefährten ausgeschwärmt, um nach Getränken, Essen oder Quartier zu suchen, darf ich bis zu deren Rückkehr Maschinen und Gepäck beaufsichtigen. Bei dieser „Aufgabe“ dauert es oft nur wenige Minuten, bis ich von bis zu 20 oder noch mehr Neugierigen umringt bin und dann eine Fragerunde beginnt.
Die erste Frage an mich lautet in der Regel: „Woher kommst du?“ Da die Fragen meistens in der Landessprache Farsi gestellt werden, muss oft zuerst ein der englischen Sprache mächtiger Passant als Übersetzer gefunden werden. Und wenn dann „Germany“ nach einer Weile in ein für die alle Anwesenden verständliches „Älmähn“ übersetzt wurde, werde ich mit „Herzlich willkommen im Iran!“ oder auch mit „Herzlich willkommen in meinem Land!“ und ringsum mit Händeschütteln begrüßt. Aus allen Richtungen werden mir Zigaretten angeboten, es werden Handys gezückt, ich werde allein, mit den Motorrädern oder mit meinen neuen Freunden fotografiert und die Fragerunde geht munter weiter. Nach einigen Tagen weiß ich dann, welche Fragen mich als nächstes erwarten werden: Z. B.: „Wohin gehst Du?“, „Wie gefällt Dir mein Land?“ und dann, bald darauf, weiß ich, kommen die Fragen „Kennst du Jürgen Klinsmann?“ oder „Kennst du Jogi Löw?“ Bejahe ich eine dieser Fussballfragen, werden mir in der Regel alle Spieler der Nationalmannschaft und die der Mannschaft von Bayern München und Borussia Dortmund aufgesagt, bevor dann ebenso wichtige Fragen z. B. nach dem Hubraum und Leistung der einzelnen Motorräder, nach dem Alter der Motorräder und Fragen nach deren Preis in Iranischen Rial oder auch der Wunsch nach einer sofortigen Probefahrt auf einer der Maschinen geklärt werden muss…
„Weiter nach Osten dreht sich das Rad“
Von Isfahan aus wollen wir über die alte Oasenstadt Yazd nach Mashhad, der Heiligen Stadt des Iran und gleichzeitig dem östlichsten Punkt unserer Tour. Dazu müssen wir den nördlichen Zipfel der Daschd-e Lut (Wüste des Sandes) durchqueren. Die Dashd-e Lut ist ca. 166.000 Quadratkilometer groß und im Sommer kann das Thermometer dort bis auf 70 °C klettern. Mit täglich um die 46 °C im Juni sind wir aber auch schon ganz gut bedient! Unser Trinkwasser hat die Temperatur von Badewasser und schmeckt auch so. Ein unangenehmer, stetiger Gluthauch fegt durch die Wadis und über die Hochebenen, die Piste ist zum Teil von Sand bedeckt und dieser findet seinen Weg unter den Helm und überall hin. Nicht nur wir, sondern auch die Motoren schwitzen – ein dünner Ölfilm bedeckt Teile des Motorblocks. Jetzt bloß keine Panne!
Trotz aller Hitze und Mühsal, ein bisschen fühlen wir uns wie zuhause, begegnen uns doch bei der Durchquerung der Wüste unzählige LKWs der Baureihe L 1924 der Marke mit dem Stern – oft hoch beladen mit den vielfältigsten Wirtschaftsgütern. Die Fahrer dieser teilweise farbenfroh angemalten aber immer noch munter fauchenden Methusalems zwinkern uns mit der Lichthupe zu und bedanken sich dann für unser Winken mit langanhaltendem und infernalischem Fanfarengetröte.
Warum wir so viel Aufmerksamkeit erregen wissen wir nicht. Sind wir nur eine willkommene Abwechslung in der Eintönigkeit der Wüstenroute, bei der kaum Individualverkehr unterwegs ist? Oder sind wir tatsächlich eben nur die Affen? Aber vielleicht ist diese übertriebene Aufmerksamkeit, welche wir erregen, ja auch der Tatsache geschuldet, dass im Iran nur Motorräder bis 250 ccm zulässig sind und wir das Vielfache unter dem Hintern haben? Es ist schon kurios, die Iranis dürfen zwar Motorräder mit höherem Hubraum besitzen, diese aber ausschließlich nur freitags und dann auch nur in der Gruppe mit anderen fahren! Will der Koran das vielleicht so?
Dreimal „full“!
Wir müssen tanken. Bei Sprit und Essen geht das Bezahlen in der Gruppe immer reihum. Dreimal kann die Frage des Tankwartes (Selbstbedienung gibt es übrigens nicht): „full“ , die mit „full“ beantwortet wird. Nachdem wir dreimal „full“ mit einem 500.000 Rial-Schein (ca. 10 Euro!) beglichen haben, erwarten wir die übliche Fragerunde, welche bei den Tankstopps oft mit einer Einladung zu Tschai einhergeht. Dieses Mal jedoch müssen wir an der Tanke nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zum Essen bleiben.
Rheza lädt uns zu gebratenen pürierten Tomaten mit Zwiebeln und Ei ein, dazu wird das für die Region übliche ungesalzene, dünne Fladenbrot gereicht und es gibt, wie immer im Iran, dazu die eisgekühlten roten Dosen mit der süßen Muttermilch des amerikanischen Erzfeindes.
Plötzlich auftretende starke Windböen lassen Sonnenschirme abheben und die Markisen heftig flattern und knallen. Sand weht in die Pfannen, es knirscht zwischen den Zähnen beim Essen. Wir bedanken uns für die Einladung, wir wollen weiter. Nur wenige Tage zuvor starben durch einen plötzlich auftretenden heftigen Sandsturm in der iranischen Hauptstadt fünf Menschen.
Der schwarze Mann.
Der Moloch Teheran und die Küste des Kaspischen Meeres – die grüne Provinz Gilan, die fruchtbare Kornkammer des Iran – liegen hinter uns. Über Täbriz kommen wir nach Urmia, der Stadt am gleichnamigen Salzsee. Eine der Maschinen macht Probleme, in einem Kreisverkehr halten wir an. Einer der Hinterradstoßdämpfer ist abgerissen, das Befestigungselement fehlt und das Gewinde der Aufnahmebohrung am Alugehäuse des Kardangehäuses ist ausgeschlagen. F***!, wollten wir doch anderntags den Iran über die Grenze bei Sero/Esendere in Richtung Türkei verlassen…
Zur Entlastung des Hinterrades verteilen wir das Gepäck auf die beiden anderen Maschinen und versuchen, den Stoßdämpfer vorläufig mit Kabelbindern zu fixieren.
Einer der unzähligen blauen iranischen Khodro-Pick-ups stoppt. Ein kleiner rundlicher Mann springt heraus und läuft mit gezücktem Handy auf uns zu. Nein, er will uns nicht fotografieren, sondern er möchte, dass wir telefonieren – aber mit wem? Nach meinem „Hallo“ meldet sich am anderen Ende Hossein und fragt auf Englisch, ob wir ein Problem mit den Motorrädern hätten und bittet uns, seinem Vater in eine ruhigere Seitenstraße zu folgen…
Kurze Zeit später lernen wir Hossein persönlich kennen und zusammen begutachten wir den Schaden. Uns wird schnell klar, dass wir mit der kranken Maschine nicht mehr weit kommen werden: das Kardangehäuse muss repariert werden und wir benötigen Ersatz für das verlorengegangene Befestigungselement. Das fehlende Teil über den Auslands-Notdienst des ADAC zu beschaffen wäre zwar möglich, jedoch scheuen wir die Kosten dafür und haben zudem keinen Bock auf endloses Warten. Es muss irgendwie anders gehen! Hossein zerstreut unsere Sorgen und bietet uns an, uns am nächsten Morgen zu seinem Freund Karim, „dem besten Mechaniker im ganzen Iran“ zu bringen.
Und tatsächlich, anderntags kacheln wir zusammen mit ihm durch das morgendliche Verkehrsgewühl von Urmia in das „Auto-Motorrad-Moped-Motoren-Wasserpumpen-Reparatur- Metallbearbeitungs-Ersatzteil-Viertel“ der Stadt. Unglaublich: In einer Vielzahl kleiner Werkstätten glühen Schweißbrenner und Essen, surren Drehbänke, werden Autos, Zweiräder, Maschinen und alles Mögliche repariert – überall wird gedengelt was das Zeug hält.
Karim besieht sich den Schaden und geht ohne Umschweife ans Werk. Nach nur wenigen Minuten hat er die Auspuffanlage der Maschine abgestrippt, das Hinterrad ausgebaut, den Kardan abgehängt und zerlegt – montiert wird dabei am Straßenrand. Am Abend zuvor hatten wir eine Abbildung des verlorengegangenen Befestigungselementes auf der Internetseite eines deutschen Anbieters gefunden und die Abbildung auf das Handy geladen. Karim bringt uns in eine Werkstatt, wo wir einem freundlichen, ganz in schwarz gekleideten Herrn, dieses Element auf dem Handy zeigen. Er schaut sich das Bild an, nickt, lächelt uns an und fragt: „Tschai?
Das Ersatzteil ist an seinem Platz und passt präzise, die Maschine ist wieder fahrbereit. Inzwischen sind die Monteure, Montagehelfer und -berater auf eine stattliche Gruppe angewachsen. Nachdem Karim eine Runde Fanta für sie alle ausgegeben hat und unter dem Gejohle der Anwesenden jede unserer Maschinen probegefahren hat, werden noch unzählige Erinnerungsfotos geschossen.
Tags darauf passieren wir bei Esendere die Türkische Grenze und durch die karge Bergwelt Nordkurdistans geht es weiter in Richtung Van-See und danach immer nach Westen: Tatvan, Diarbakir, Sanliurfa, Gaziantep, Anamur, Denizli, Izmir, Cesme, …Chios, …Piräus, …in etwa einer Woche wollen wir wieder zuhause sein.
Tschaidra
Ich würde gerne mit dem Autor des Artikels direkt Kontakt aufnehmen. Ich würde mich freuen, wenn ihr von schwarzvolk diesen Kontakt herstellen könntet.
Nächstes Jahr wollen wir zu sechst (alles BdPler) mit einem alten Feuerwehrauto durch die Türkei und den Iran nach Kasachstan.
Schöne Grüße,
Jakob
…klingt interessant. am besten du nimmst mal per mail kontakt mit ihm auf. :-)
-> tschaidra(AT)web.de