Einblicke in 71 Stunden Bündische Akademie – ein wahres Protokoll
Donnerstagabend – upsi
Schon in der Bahn eine Menge Pfadis getroffen, die 4 km Fußweg nach Lüdersburg vergehen mit dem ersten Kennenlernen neuer Leute wie im Flug. Als ich ankomme, folgt die zweite schöne Überraschung des Tages: Mein Mitfahrer, der arbeitsbedingt mit dem Auto unterwegs war, hat unsere Kohte bereits aufgebaut. So scheint die Entscheidung zwischen ‚Klohölle‘ und ‚Spülhölle‘ die einzige anstehende Arbeit des Wochenende zu sein. Entspannte Gespräche bei Kaffee und Kuchen runden das doch mittlerweile selten gewordene, aber herrliche Gefühl, einfach mal wieder Teilnehmer zu sein, ab und schon nach kurzer Zeit in Lüdersburg ist mein Alltag irgendwo anders.
Freitagabend – WoHei
Wie geil ist dass denn? Ich sitze in einem Pool, in der Hand ein Bier und direkt neben mir ’ne Singerunde. Der Pool ist beheizt! Und ganz nebenbei in einer Jurte. In einer ganz normalen Dreier-Jurte. Das ist dekadent, aber irgendwie auch sehr genial. Der Pool hat gut und gerne fünf Meter Durchmesser und wird mit einem Holzvergaser beheizt. Alles Marke Eigenbau.
Wir albern rum, spritzen mit kleinen, fischförmigen Wasserpistolen die anderen Gäste in der Jurte nass, oder tunken uns gegenseitig unter. Was man halt so macht im Schwimmbad. Nur, dass es kein Schwimmbad ist.
Irgendwann fällt beiläufig eine Bemerkung. Irgendwas wie „Du bist der Größte.“ Die Antwort: „Ich verstehe das jetzt mal als Kompliment“. Da war sie. Die Idee. „Mit Komplimenten und der Wahrheit ist das auch so eine Sache“, meint mische zu mir. „Joa, darüber könnte man sicher auch eine ganze Weile diskutieren“….
Samstagvormittag – upsi
Nach dem Frühstück entscheide ich mich aus aktuellem Anlass für die Diskussionsrunde „Selbstdarstellung in Bewerbungsgesprächen“. Was erzählt man eigentlich über sich und was nicht? Wie wird mit Bewerbern umgegangen und was ist noch vertretbar? Was haben wir Bündischen eigentlich alles drauf? Welches Bild möchte man von sich transportieren? Es wird viel angeregt und diskutiert und wieder wird mir klar, mit vielen Problemen und Herausforderungen man sich als Pfadi auf Fahrt und Lager oder mit Eltern, Kindern und Mitleitern schon herumgeplagt hat. Wenn man das überlebt, dürfte man eigentlich auch jedes Gespräch gut meistern. Da haben wir doch alle schon wahrlich Schlimmeres durchgestanden.
Samstagmorgen – WoHei
Vor einer halben Stunde lag ich noch im Schlafsack und wollte weiterschlafen. Und jetzt bin ich in der tiefgehendsten Diskussion, die ich seit langem geführt habe. mische hat die Idee von gestern Abend aus dem Pool doch ernster genommen als ich dachte. Er hatte Glück. Hätte meine volle Blase mich nicht aus dem Schlafsack getrieben hätte er mich nicht getroffen und diese Runde wäre nicht zu Stande gekommen. Jetzt sitzen wir in der Sonne und diskutieren darüber was überhaupt ein Kompliment ist. Zählt schon der Satz „Schön dich zu sehen?“ Was macht einen einfachen Satz zum Kompliment? Und spielt es überhaupt eine Rolle ob das, was ich in einem Kompliment sage, wahr ist?
Samstagnachmittag – upsi
Die Sonne scheint als gäbe es kein Morgen mehr und es ist kaum vorstellbar, dass noch am Donnerstag nicht enden wollender Platzregen und Hagel in und um Hamburg meine Freude auf ein Wochenende im Zelt getrübt hatten. Es gibt zwar einige Angebote, aber nachdem die Diskussionen in mir noch nachwirken, ist mir eher nach einer Pause zumute. Also lege ich mich mit dem neuen eisbrecher auf die Wiese lasse die Seele baumeln: Alles geht, nichts muss! Dies gilt nicht nur für die Teilnahme an den Angeboten, sondern auch für die Leute auf der BüAk selbst. Da steht ein Igluzelt neben einer Kohte, ein Lederhosenträger neben einem Menschen mit Trainingsanzug und während die einen Hip Hop tanzen, lernen andere neue Fahrtenlieder oder Volkstänze. Alles ist angenehm frei von dogmatischen Diskussionen über den wahren Pfadfinder/ Wandervogel/ Bündischen. Aber da hat ohnehin jeder seine Wahrheit.
Samstagmittag – WoHei
Ich schalte mein Hirn ab und renne über die Wiese. Einfach mal ne Runde Frisbee spielen, mit zwei Mannschaften, drei gegen drei, gegeneinander. Es tut gut sich so auszupowern. Nach kürzester zeit bin ich durchgeschwitzt und japse vor mich hin. Ich sollte mehr Sport machen. Jaja, aber Sport ist so anstrengend. „Huhu! Sehr guter Wurf!“ Ein Kompliment. Eindeutig. Ich komme nicht raus aus den Gedanken zu diesem Thema. Seit der Diskussion am Morgen habe ich fünf kleine Zettel in der Hosentasche. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht verschiedene Komplimente zu verteilen, aber immer nur dann, wenn wir sie auch wahrhaftig machen können.
Am Ende des Spiels hole ich einen heraus. „Das hat Spaß gemacht.“ steht darauf. Ich übergebe den kleinen Zettel an einen meiner Mitspieler und frage mich sofort danach ob ich die Wahrheit gesagt habe.
Samstagnachmittag – upsi
Jetzt ist Schluss mit Lustig! Vier Gruppen werden gebildet und jede Gruppe bekommt eine Aufgabe, in der die vorhandenen Klappstühle auf eine bestimmte Art und Weise positioniert werden müssen, ohne dabei zu reden. Da jede Gruppe ein anderes Ziel hat, wird unerbittlich gekämpft. Als ich gerade zwei Stühle wegtragen will, springt mich jemand von hinten an und entreißt mir die Stühle. Ich lande auf dem Boden, rappel’ mich auf und versuche, neue Stühle zu ergattern. Dies wird zunehmend schwieriger, da einige Leute angefangen haben, sich direkt auf die Stühle zu setzen oder zu legen. Doch selbst das stellt kein Hindernis da. Man versucht sich einfach gegenseitig wegzutragen oder die Personen gleich komplett mit dem Stuhl mitzunehmen. Ich ahne, dass es irgendwie eine gemeinsame Lösung gibt, kann mich mit meiner Gruppe aber nicht verständigen. Nach weiterem Chaos und dem tragischen Tod einiger Klappstühle, hat die Spielleitung Erbarmen und erlaubt uns, wieder zu sprechen. Irgendwann verstehen wir dann doch, wie wir die Stühle aufstellen müssen, damit jede Gruppe ihren Auftrag erfüllen kann. Zu schön, um wahr zu sein!
Sonntagmorgen – WoHei
Irgendwo im Abbautrubel begegne ich upsi. Wir haben uns das Wochenende eigentlich kaum gesprochen und so ist meine erste Frage wie sie das Wochenende eigentlich fand. Super, da sind wir uns beide einig und schon biegen wir wieder ab in Fragen nach der Wahrheit und all den Dingen die wir vor, während und nach den Vorträgen gehört, gesehen und erlebt haben.
Ob ich jetzt weiß, was die Wahrheit ist? Keine Ahnung. Eigentlich bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass ich es jetzt nicht besser weiß als vor der BüAk. Aber das spielt auch keine Rolle. Ich nehme wichtigeres von der Bündischen Akademie mit nach Hause als die Wahrheit.
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