Meißner hautnah – knolle, rudi und drea
Meißner hautnah ist eine Interviewreihe in der wir Menschen zu Wort kommen lassen die auf unterschiedliche Art und Weise mit dem 100-jährigen Jubiläum des Freideutschen Jugendtags auf dem Hohen Meißner in Verbindung stehen. Meißner hautnah soll einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen und persönliche Geschichten festhalten, ganz nah dran und so vielfältig wie die Menschen und ihre Bünde.
Für den dritten Teil haben wir mit rudi, knolle und drea aus dem Mädchenwandervogel Solveigh gesprochen.
Samstagnachmittag auf dem Meißner-Lager. Ich treffe mich in der Jurte des Mädchenwandervogel Solveigh mit rudi. Ich kenne sie von einem Törn auf Mytilus im vergangenen Jahr. Mit ihr möchte ich darüber sprechen wie sich der Meißner für eine Vierzehnjährige anfühlt.
Wenige Minuten später ziehe ich mit rudi, knolle und drea los. Alleine hat sich rudi nicht getraut.
Ich laufe also mit drei Mädchen im Alter von 14, 15 und 11 Jahren über den Platz und suche eine Ecke abseits des Lagertrubels. Wahrscheinlich hätte ich mir vor gar nicht allzu langer Zeit gar nichts dabei gedacht und mich mit den dreien in die nächstbeste Kothe gesetzt, schließlich regnet es. Diesmal geht mir sofort durch den Kopf wie das wohl aussieht. Der AK Tabubruch zeigt seine Wirkung.
Also steuern wir den Heimathafen an. Dort ist zwar Betrieb, aber nicht so viel, dass es das Interview stören könnte. Mir ist lieber in der Öffentlichkeit zu bleiben und das ist gut so.
drea ist mit elf Jahren mit Abstand die jüngste mit der ich ein Interview führe. Als ich das eingangs erwähnte fragt sie nur keck, ob das schlimm sei. Natürlich nicht.
Wir beginnen ein wenig zu plaudern.
Vom Meißner erfahren haben die drei über Emails ihrer Guppenführerinnen, die vor eine Weile rund gingen. Damals ging es schon um die Anmeldung zum Lager.
Am Anfang waren wir noch nicht ganz sicher, ob nur knolle und ich hier hinfahren, aber jetzt sind wir alle drei hier und das ist auch gut so.
Das ist für drea keine Frage. Und jetzt sind sie auf einem Lager, das wahrscheinlich größer als alles ist was sie bisher als Wandervögel kennengelernt haben. Da wundert es mich ehrlich gesagt auch nicht, dass die drei sich mit dem Programm und der Fülle an Dingen die es hier zu erleben gibt schwer tun. Als ich frage was sie bisher so erlebt haben sehe ich erstmal in etwas ratlose Gesichter.
Also nicht viel eigentlich. Meistens wollten wir irgendwo hingehen, aber dann war da grade zu, oder es war schon zu voll.
Ja, bei diesem Wanderer zwischen den Welten zum Beispiel…
Wir waren zweimal da, aber da war immer zu.
knolle ist die erste die erwähnt, dass ihr alles ein bisschen zu viel und zu groß ist auf dem Meißner, auch wenn sie sich der Faszination nicht ganz entziehen kann. Sie hat sich das ganze irgendwie anders vorgestellt, auf jeden Fall nicht so groß.
Ich weiß nicht, das ist alles so viel. Diese Menge… das ist schon irgendwie zu viel, aber ich finde es auch total beeindruckend.
Ich finde das ist so unterschiedlich. Wenn’s regnet kann man nicht so viel draußen machen. Das hat jetzt nichts mit der Menge zu tun. Also das ist unterschiedlich. Manchmal ist es stressig, weil so viele Leute da sind. Dann ist es so voll, überall ist jemand. Manchmal aber auch nicht.
Meißner ist anders als das Leben im kleinen Bund. Größer, für knolle auch ein bisschen zu groß und manches davon wirkt vielleicht auch ein bisschen befremdlich auf sie.
Wenn wir im Bund unterwegs sind, dann ist man sich irgendwie noch näher. Ich hab ja auch mit fast niemandem hier was zu tun. Ich kenne hier ja kaum jemanden.
Ich wusste auch gar nicht, dass es so viele kirchliche Bünde gibt. Das finde ich schon ein bisschen krass. Die sind zum Beispiel auch ganz anders als wir im Wandervogel. Die sehen so „normal“ aus. Aber auch von der Art her wie die sind. Die Verhalten sich auch anders. Keine Ahnung. Wie will man das erklären?
So richtig beschreiben kann knolle nicht was sich an den anderen Bünden von dem unterscheidet was sie im Mädchenwandervogel Solveigh kennen gelernt hat. Aber das Gefühl, dass es so ist hat sie definitiv.
Also irgendwie gibt’s ja schon Unterschiede zwischen den verschiedene Bünden. Also irgendwie ist es alles ein bisschen anders in den anderen Bünden. Jeder ist so ein bisschen verschieden.
In genau diesem Moment sagt drea einen Satz, den ich so von einer Elfjährigen definitiv nicht erwartet hätte.
Die Richtung in die wir denken ist schon irgendwie die selbe. Vielleicht nicht bei allen Bünden, aber bei vielen.
Das ist schon schön die verschiedenen Bünde alle auf einem Platz zu sehen und zu sehen welche Bünde es überhaupt so gibt.
Spätestens nach diesem Satz von rudi sind bei mir alle Zweifel verflogen eine Veranstaltung die das Meißner-Lager könnte zu sehr auf die Alten ausgerichtet sein.
Für rudi, knolle und drea hat das Lager ganz klare Highlights. Freitagabend waren die drei in der Jurte des Forum Mitte in der Singerunde. Und im Café der Laninger waren sie, erzählt drea und ihre Augen strahlen.
Das Café ist richtig super. Das ist auch so gemütlich. Da stehen überall so kleine Holzkistchen mit kleinen Deckchen obendrauf.
Und, wir haben Frauenarmdrücken gemacht! Das ist heute wieder. Heute ist Finale!
Tja, zum Frauenarmdrücken darf ich leider nicht. Zutritt nur mit zwei X-Chromosomen. Aber klar ist, die Laninger haben damit einen Nerv getroffen. Die drei Mädels vor mir sind sichtlich begeistert.
Trotzdem, ob sie nochmals auf ein Meißner-Lager fahren würden wissen die drei nicht so recht. Jedes Jahr würden sie so was jedenfalls nicht machen wollen, dann wäre es ja auch nichts Besonderes mehr. Aber Meißner ist ja nur alle 25 Jahre. Als ich frage, ob sie in 25 Jahren wieder dabei wären fangen knolle und rudi an zu rechnen:
Oh Gott, dann bin ich 39.
…und ich 40. So alt!
Es wird 2038 sein, wenn vielleicht 125 Jahre Freideutscher Jugendtag gefeiert wird. Das erscheint noch viel länger, wenn man sich klar macht, dass drea bis dahin dreimal so alt sein wird wie heute.
Ich weiß nicht. Also wenn ich in 25 Jahren überhaupt noch Bock auf so was hab, so riesige Feste und so. Vielleicht will ich das dann jeden Tag machen. Keine Ahnung. Vielleicht will ich dann aber auch wandern und nur einmal im Jahr zu unserem Bundestreffen und zum Weiberthing. Das weiß ich ja jetzt noch nicht.
Die beiden anderen finden auch befremdlich, dass sie dann zu den Alten gehören werden.
Also ich finde komisch, dass die Alten, die vielleicht mal vor 25 Jahren in einem Bund waren jetzt hier sind. Die sehen auch nicht so aus wie jemand aus einem Bund, die sehen so normal aus, wie meine Oma oder so. Eben so mit kleinem Lederrucksack, roter Trekkingjacke und Faltenhose. Ich verbinde die gar nicht mit dem Wandervogel, oder mit Bünden.
Schöner wäre es mit mehr Jüngeren. Mit denen könnten wir dann auch mehr machen als mit Älteren.
Es ist ja auch ein Unterschied ob man 39 oder 70 ist. Das heißt ja nicht, dass 70 nicht in Ordnung ist aber ich würde dann eher die Jungen machen lassen.
Überhaupt würden die drei so manches anders machen, wenn sie Chef des Meißner-Lagers wären. Keine so langen Reden beim Festakt zum Beispiel, die hätten sich gezogen wie Kaugummi und kleiner würde das Lager auch werden.
Auf jeden Fall kleiner.
Ich weiß nicht. Vielleicht mehrere Orte. Also relativ nah bei einander, aber so, dass nicht alle auf einem Proppen sitzen. Dann ist es nicht ganz so turbulent.
Ja, es war ja auch so das manche Workshops einfach schon überfüllt waren. Dann konnte man da gar nichts machen. Wenn’s weniger Leute wären pro Workshop, dann könnte man vielleicht bei mehr mitmachen.
Blöd ist auch, wenn man irgendwo in einer Jurte sitzt und singt, dann hört man rechts noch welche singen und da drüben auch noch und dann geht alles ein bisschen durcheinander.
Was bedeutet eigentlich 100 Jahre Freideutscher Jugendtag für jemanden der kaum mehr selbst grade mal etwas mehr als ein zehntel dieser Zeit auf der Welt ist? Wiedermal überrascht mich drea die sehr wohl weiß worum es hier geht. Und knolle schiebt gleich noch ein jugendbewegtes Credo hinterher.
Dazu wurde ja beim Festakt ganz viel gesagt und schon auf der Einladung zum Meißner stand ja was dazu drauf. Die Meißner-Formel ist mir jetzt nicht so wichtig, aber ich finde schon ein bisschen beeindruckend, dass die Jugendlichen vor 100 Jahren auch schon was unternommen haben und sich die Mädchen auch losgerissen haben von ihrem normalen Alltag und so.
Jaja das finde ich auch, aber ich denke da im Vorfeld nicht so viel drüber nach. Ich bin ja jetzt hier, in diesem Moment.
Wie allen meinen Interviewpartnern stelle ich auch rudi, knolle und drea die Frage was wohl vom Meißner bleiben wird.
Och, was kommt das kommt. Mal sehen. Das spielt für mich gar keine so große Rolle.
knolle sieht das mit dem Meißner ganz entspannt. Ist ja auch kein Wunder, die Begründung dafür liefert rudi nämlich gleich hinterher.
Wir haben uns ja auch nicht wir andere fünf Jahre damit beschäftigt.
Interessantes Interview von dokumentarischem Wert.
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Wenn ich das so lese … ich finde, dass man selbst mit 15 noch etwas zu jung für ein derart geschichtsträchtiges Groß-Lager ist. Besser mit der überschaubaren Kleingruppe in den Wald.
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Ob man derartige Haupt-Lager nicht besser erst ab sechzehn freigibt und kleine feine Neben-Zeltlager organisiert für die Unterstufenschüler?
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Und für die Mittelstufe (sagen wir etwa 12-15 Jahre) einen dynamisch-ortsungebundenen Hajk anbietet, ebenfalls ohne das Massen-Zelten?
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Dazu mal eine Nebenfrage: wieviele Besucher waren an den einzelnen Tagen so auf der Wiese, jeweils aufgeteilt in angemeldete Zelter und vorbeikommende Wanderer bzw. Tagesgäste; gibt es da ungefähre (oder sogar genaue) Zahlen?
Meiner Meinung nach hat die Überforderung nichts mit dem Alter zu tun. Keiner meiner 13 jährigen Sipplinge war vom Bundeslager des BdP überfordert, daher glaube ich eher, dass die Mädels das einfach nicht gewohnt sind. Bei uns fährt man schon als Wöfling auf Landespfingstlager mit mehreren hundert Leuten, so gewöhnt man sich langsam an die Masse.
Hm also, liebe(r) Speckulatius, danke für das Mitteilen deiner Erfahrungen aus echter BdP-Sicht und den dortigen Umgang mit den Kleinsten zwecks „Dressur“ hin zur Großgruppentauglichkeit. Aber darin sehe ich eigentlich gar keinen Sinn.
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Mehr als achtzig oder höchstens 120 Leute auf einer Wiese bringt aus meiner Sicht für’s soziale UND persönliche Lernen wenig. Ich finde, jeder muss wenigstens theoretisch die Möglichkeit haben, jeden kennenzulernen bzw. wenigstens ein paar Mal kurz anzusprechen. Also Wochenende maximal 20 Personen (besser zwölf bis sechzehn), zwei- oder dreiwöchige Sommerlager maximal um die hundert (m. E. besser vierzig bis sechzig).
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Bei höherer Teilnehmerzahl steht der Mensch nicht im Mittelpunkt, sondern … eher schon … das „Herdentier“. Maßlos, wie im Fußballstadion.
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Ach so, weiß es jemand, Meißner 2013:
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wieviele Besucher waren an den einzelnen Tagen so auf der Wiese, jeweils aufgeteilt in angemeldete Zelter und vorbeikommende Wanderer bzw. Tagesgäste; gibt es da ungefähre (oder sogar genaue) Zahlen?
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Und zum Vergleich: wieviele waren 1988 auf dem Meißner? Ist die Sache von 75. zur 100. Wiederkehr des 1. Freideutschen Jugendtages ja vielleicht „geschrumpft“?.
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Und wenn geschrumpft: ist aber auch die Begeisterung, die Intensität von 1988 auf 2013 ab-gesunken … und wenn ja warum?
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Herrschen … entschiedenes Phlegma, kalkulierte Sinnlosigkeit, bündisch-snobistische Event-Mitnahme-Mentalität, phlegmatischer Voyeurismus? So jedenfalls empfinde ich bislang noch jeden Bericht zu Meißner 2013.
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1913 hat die junge Generation noch etwas (wenn auch sehr Unterschiedliches) gewollt, und versucht, einen gemeinsamen Willen erkennbar werden zu lassen. Das Treffen von 1913 selbst war „unerhört neu“, ein Quantensprung! Von Vergleichbarem – und sei es nur in der Begeisterung oder im Bekennen gemeinsamer Ziele – höre bzw. lese ich zu 2013 nichts, aber auch gar nichts.
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Jugendbewegung haben fertig? So nach dem Motto: „Das war’s denn mit dem Meißnerjahrhundert … Der Letzte macht’s Licht aus!“???
Ach Zeljko, die Frage nach der „bündisch-snobistischen Event-Mitnahme“ haben wir hier ja schon ausführlich beleuchtet. Wenn auch an anderer Stelle. Ich empfehle dir dazu die Lektüre unserer Reihe Meißner-Nachlese in der du sicher auch ein paar andere Meinungen finden wirst.
Was die Teilnehmerzahlen angeht kannst du ja mal in das Interview mit gerte aus unserer Reihe Meißner hautnah schauen.
Grüße übrigens an hermes. Andrzej, „Ein alter Wandervogel“, „Besucher in Kluft“ und Quetzalcoatl!
Mädchen von 11 bis 15, aha, soso. Nett. So frisch.
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An die Mädchenwandervogel-Solveigh-Bundesführung, steht euer Bund für Irgendetwas? Wollt ihr gleiche Rechte für Mann und Frau? Fordert ihr gleichen Arbeitslohn für Mann und Frau? Was macht ihr gegen den (männer)bündisch-patriarchalischen Sexismus? Wie positioniert ihr euch zur aktuell auf der EMMA (Alice Schwarzer) besprochenen Frage nach einem Verbot von Prostitution? Wie steht ihr zur Scharia bzw. zum Lehrerinnenkopftuch?
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Oder will Solveigh nur selig-rückwärtsgewandtes Blaublumeduftschnuppern?
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Kennt ihr nach hundert Jahren Freideutscher Jugend inzwischen Hesse, Brecht, Tucholsky? Oder führt ihr eher hin zum Denken von Ernst von Salomon und Edwin Erich Dwinger?
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Und die Gretchenfrage: Wie steht ihr 2013 zum Freibund oder Deutschen Mädelwanderbund, wie zum Ludwigsteiner Konzept der „Offenen Burg“?
Lieber Zeljko,
mit Rücksicht auf das ursprüngliche Ziel dieses Artikels, persönliche Eindrücke zum Meißnerfest zu ermöglichen, möchten wir hier nicht auf Deine vielfältigen Fragen eingehen. Wir freuen uns aber über Deine Neugierde für unseren Bund. Nähere Informationen zu unseren Aktivitäten erhältst Du auf unserer Website (www.maedchenwandervogel.de). Zu einem persönlichen Gespräch bist Du jederzeit herzlich eingeladen.
Mit besten Grüßen,
Mädchenwandervogel Solveigh
Lieber Mädchenwandervogel Solveigh,
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eure Homepage ist sehr informativ und beantwortet mir ja bereits die meisten meiner Fragen.
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Ich bedanke mich auch sehr für die Bereitschaft zu einem Gespräch, für das sich im Laufe des nächsten Jahres sicherlich einmal die gute Gelegenheit ergeben wird.
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Wie schön, wenn jemand den guten alten (und dabei zeitlos jungen) Wandervogelgedanken in Ehren hält und mit Leben erfüllt.
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Mit besten Grüßen
Zeljko