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Transnistrien – Auf Fahrt mit dem Sorbischen Wandervogel

Transnistrien, der kleine Landstrich jenseits des Flusses Dinister, irgendwo zwischen Modawien und der Ukraine, scheint sich zu einem mytischen Sehnsuchtsort abenteuerlicher Fahrtengruppen zu entwickeln. Dort soll der wilde Osten Europas tatsächlich noch wild sein. Hanko vom Sorbischen Wandervogel berichtet für uns von einer Fahrt in diese Region.

P1120527Wir ahnten nur vage, was uns in Transnistrien erwarten würde. In fast keinem anderen Land Europas ist der Graben zwischen arm und reich so tief und morastig. Seit Stalin ganze Mafiaclans hierher ins Exil schickte, prägen düstere Gestalten das Bild der Städte. Wir mittendrin. Eine überschaubare Fahrtengruppe von fünf Anfang-Zwanzigjährigen, satt von den ollen Nordland-Fjorden und nun dem Ruf des wilden Ostens folgend.

Die EU weigert sich zwar bis heute die Autonomie dieses Landstrichs zwischen Moldawien und der Ukraine anzuerkennen, dies schert die Grenzbeamten allerdings wenig. Gleich beim Einreisestempel müssen wir tief in die Tasche greifen um an den grimmigen Soldaten vorbei zu kommen. Glücklicherweise verlief die Anreise per Tramp reibungslos und die Notgroschen für eine Bahnfahrt wechseln nun den Besitzer.

Wir durchstreifen die Dörfer und verlieren uns der atemberaubenden Landschaft und der Gastfreundschaft der Einheimischen. Alexanders`s Russischkenntnisse erweisen uns besonders hier die allergrößten Dienste

Ihr jungen Buben seid ja halb verhungert. Kommt herein und probiert die Suppe!

Danke Mütterchen, wir haben bereits gegessen

Kinder, zumindest eure nassen Hemden will ich waschen und trocknen!

Mein Freund hier lässt dir vielen Dank ausrichten aber uns geht es gut

Dann vielleicht einen Tee?

Aber nur, wenn wir dir etwas vorsingen dürfen. Los Jungs, greift in die Saiten!

Gespräche wie diese ereignen sich dauernd. Eine Fahrt bedeutet uns mehr als Smalltalk und Tee, wir wollen Wandern. So verweigert Alex auch immer häufiger die Rolle als Dolmetscher und wir zucken in den Dörfern nur unverständlich mit den Schultern, lächeln nett und ziehen unserer Wege.

Die Suche nach Abenteuer und Einsamkeit treibt erweiset sich zunehmend als schwierig.  Das allgegenwärtige Sherriff-Unternehmen vom Ex-Präsidenten, wie die Menschen uns berichten,  besitzt nicht nur so ziemlich alle Tankstellen, Supermärkte, Bäckereien und Medien, sondern pflügt und rodet seit geraumer Zeit zwecks Landwirtschaft auch die ganzen Gefilde, um die Unabhängigkeit des Landes zu stärken.

Diese monopolistischen Strukturen erklären nicht nur dass der blitzende Mercedes neben dem alten Lada an der Ampel das gesamte Stadtbild prägt, sondert führt auch dazu, dass sich das bewanderbare Gebiet in dem ohnehin schon kleinen Land nochmals dezimiert.

So treiben wir auf der Suche nach wilder Natur immer weiter und schließlich auch über die Grenze nach Moldawien. Hier gibt es bei der Einreise interessanterweise keinen Stempel und keine Kontrolle, da die Moldawen die Grenze schließlich nicht anerkennen.

Nach zwei beschwerlichen aber auch interessanten Tagen gelangen wir schließlich in die Wäldern von Ivancea. Hier findet sich eine natürliche Urkraft, bar von Wanderwegen. Nur den Gipfel vor Augen treiben wir 2-3 Tage durch die Wildnis. Zwischendurch treffen wir auf verlassene Hirtenwege und verlieren diese wieder. Ein paar zerfallene Steinhaufen zeugen von einstiger Zivilisation. Am Abend lauschen den Stimmen der Ruinen und spinnen die Geschichte dieses einstigen Dorfes. Wir sitzen noch lange am Feuer und erst als der große Wagen einen beträchtlichen Teil seines Weges zurückgelegt hat verschwinden wir nach und nach in der Kohte.

Was dann passierte hatte zum Ende dieser Fahrt eigentlich niemand mehr von uns erwartet:

Aus unser Fahrtenchronik:

Hätte Matze, wie besprochen, die Koschis und den Topf eingesammelt, so wäre der Bär uns vielleicht in die Kohte gefolgt. Als Kaju mich mit einem bedeutungsschwerem „PSSSST“ an der Schulter zupfte, wusste ich erst gar nicht was geschah. Ich blickte in die Runde und erkannte schemenhaft, dass die ganze Gruppe bereits aufrecht in ihren Schlafsäcken saß. Alex hatte sogar das Beil in der Hand. Was war hier los? Ich wollte gerade meinen Mund öffnen, als man mir zu verstehen gab leise zu sein und genau zu horchen. Genau horchen musste man eigentlich nicht. Ein großes Etwas umkreiste unser Zelt, wieder und wieder. Kaju lugte unter der Plane hervor, konnte aber nichts erkennen. Anscheinend hatte ein Bär unser Lager aufgesucht. Plötzlich endete sein rastloses Wandern und wir hörten Geräusche, wie Alex sie eigentlich immer bei Essen macht. Vorsichtig schauten wir aus der Kohte uns konnten deutlich erkennen, wie ein Bär von beträchtlicher Größe die Reste unseres Abendessens vertilgte. Wir überlegten, ob wir unser restliches Essen ebenfalls hinauswerfen sollten, ob Türmen eine Option sei oder im Ernstfall der „Tote Mann“ wirklich helfen wird. Noch während wir uns beratschlagen zottelte der Meister Petz plötzlich in die nahen Baumriehen und verschwindet im Schwarz der Nacht.

Als ich am nächsten Morgen, nach einem sehr unruhigen Schlaf, erwache, muss ich mich kurz sammeln und überlegen, ob alles nur ein Traum war. Locke wedelte aber in diesem Moment mit meinem Kochgeschirr im Zelteingang herum und egalisierte somit den Gedanken.

Mein Koschi wurde nämlich Opfer des Bärenbesuchs. Als wäre es unter die Räder gekommen, so platt lag es nun vor mir. Erfolglose Versuche des Auseinanderbiegens zeugten nachträglich von der Masse des Bären.

Es dauerte zwei weitere Tage, bis ich in einem kleinen Dorfladen eine Dose Speckbohnen fand, aus der ich mir ein Ersatz-Ess-Gefäß basteln konnte. Im Nachhinein wurden allerdings die ersten Vermutungen geäußert, dass unser nächtlicher Besucher vielleicht doch nur ein besonders fettes Wildschwein gewesen ist, da schließlich niemand den vermeintlichen Bären zu Gesicht bekommen hatte bzw. die Dunkelheit unseren Augen auch einen Streich gespielt haben könnte.

Jedoch sprechen viele Indizien für den Bären und erzählenswerter ist es so alle Male, also einigten wir uns darauf, dass es weder Wildschwein, noch Dorfjugend war, das uns da so einen Schrecken eingejagt hat.

Die nächsten Einheimischen die wir treffen lassen wir von Alex fragen, wie es sich denn hier so mit Bären und Wildschweinen verhält. Die Antwort hilft uns nur begrenzt weiter. Ja, es gibt Wildschweine und zwar nicht zu wenige, allerdings selten im Alleingang anzutreffen. Und ja, es gibt Bären, die trifft man nachts aber eher in der Nähe von Dörfern, wo diese dann versuchen die Schafe und Ziegen in den Gattern vor der Siedlung zu reißen.

Das nächste Dorf war von unserer Schlafstelle allerdings einen guten Tagesmarsch entfernt, was aber im Prinzip auch nichts zu bedeuten hat. Wir reden uns noch oft den Mund fusselig aber am Ende muss wohl jeder für sich selbst wissen, ob er auf seiner Lebens-To-Do-Liste eine Haken bei Bärenbegegnung machen möchte.

Hanko, Sorbischer Wandervogel

 

Von:

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Ein Kommentar zu Transnistrien – Auf Fahrt mit dem Sorbischen Wandervogel

  • Manoel Mooren sagte:

    Gefaellt mir gut, Dein Fahrtenbericht!^^
    Wollt ich nur mal angemerkt haben…wo’s offensichtlich sonst niemand tut!

    Lieben Gruss
    Manoel

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