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Zurückbleiben bitte! Vom Fremdschämen in der U-Bahn.

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Ich bin ein Großstadtkind und fahre, seit ich denken kann, mit öffentlichen Verkehrmitteln. Zu jeder Tages- und Nachtzeit (na gut, letzteres eher, als ich schon eine ganze Weile denken konnte). Ich bin Kummer gewohnt: streitende Paare, tobende Kinder, Junggesellenabschiede, Leute, die am Telefon ihre halbe Lebensgeschichte erzählen oder besser gleich mit dem Partner Schluss machen, sowie Döner und diverse ungewaschene, schwitzende Mitfahrer. Bekanntlich kann der Mensch vieles ertragen oder es dank Kopfhörer oder guter Lektüre ignorieren. Eines geht mir jedoch völlig ab: bettelnde Pfadfinder in der U-Bahn. Oder was ist dieses ‚U-Bahn-Singen’ für Geld sonst?

Wenn ich mal wieder nachmittags oder am frühen Abend unterwegs bin und an nichts Böses denke, kommt es häufig vor, dass Gruppen eines lokalen Pfadfinderbundes in die U-Bahn steigen, um sich mit Singen (häufiger grauenhaft falsch) Geld für die nächste Fahrt zu verdienen. Gut, soll dies doch jeder machen, wie es ihm oder ihr beliebt, aber spätestens bei der Ansage ‚Hallo, wie sind DIE Pfadfinder und sammeln für unsere Sommerfahrt nach XY“ oder einem schlichten „Hallo, wir sind DIE Pfadfinder“, gefolgt von einem penetranten Unter-die-Nase-Halten eines Klingelbeutels habe ich das starke Bedürfnis, den Pfadfinderbutton an meiner Handtasche dezent und möglichst unauffällig verschwinden zu lassen.

An dieser Stelle muss ich sagen: Selbst ich als sangesbegeisterte Pfadfinderin empfinde diese ‚Singe-Bettelei’ in der Bahn als höchst unangenehm. Meiner Ansicht nach wirft dieses Verhalten ein schlechtes Bild auf Pfadfinder. Den ahnungslosen Fahrgast mit einem schlecht gesungenem ‚Unter dem Pflaster’ um die wohlverdiente Feierabendruhe zu bringen, ist wohl eher wenig förderlich, um Sympathie und Begeisterung für Pfadfinderarbeit zu wecken.

Dies liegt meines Erachtens weniger am Singen selbst als an dem dafür gewählten Ort. In meinem ehemaligen Stamm gab es die Tradition des Weihnachtssingens im Einkaufszentrum (offiziell und mit Erlaubnis) und wir haben auch für Fahrten oder andere soziale Projekte gesungen und in der Innenstadt Geld gesammelt. Der entscheidende Unterschied ist hier für mich jedoch, dass man in der Fußgängerzone weitergehen kann, wenn es einem nicht gefällt oder eben stehen bleibt und zuhört, wenn man es mag.

Um Leute zum Zuhören zu bewegen, sollte man sich einigermaßen Mühe geben und im Zweifelsfall die Lieder vorher üben.

Die Menschen können dann aus freien Stücken eine Münze oder vielleicht auch ein Scheinchen in den Gitarrenkoffer werfen und sich an dem Gesang erfreuen. In der Bahn hingegen empfinde ich das Singen für Geld als extrem unhöflich, da die Fahrgäste nicht einfach weitergehen können. Manch einer wird jetzt vielleicht sagen: ‚Das ist doch der Witz’. Ich jedoch finde, dass so ein Verhalten kein gutes Licht auf Pfadfindergruppen wirft. Generell sollte man beim Singen in der Bahn eben abwägen, ob es gerade angemessen ist oder nicht. Wenn man dies dann tut, dann ist es ohnehin schöner, wenn es spontan aus der guten Fahrtenstimmung heraus geschieht und um der Sache willen. Zum Geld verdienen, gibt es sicher bessere Orte und Möglichkeiten.

Mein Fazit: Straßenmusik zu machen, um etwas für die eigene Gruppe oder ein soziales Projekt zu sammeln, kann eine tolle Sache sein und bringt meiner Erfahrung nach auch gutes Geld. Wenn man vorher übt oder die Gruppe musikalisch so eingespielt ist, dass sie das spontan kann. Dann aber bitte an Orten, an denen die Menschen die Wahl haben, zuzuhören oder weiterzugehen und dazu am besten noch, ohne mit penetranter Bettelei zu nerven.

Sollten wir nicht durch unsere inhaltliche Arbeit oder zumindest einen ordentlichen Auftritt überzeugen, sodass es Menschen sinnvoll finden, dafür zu spenden, anstatt die Leute so lange zu belästigen, bis sie etwas geben?

Im Endeffekt muss das jede Gruppe für sich entscheiden. Jedoch bedenkt bitte, dass ihr dabei nicht für DIE Pfadfinder sprecht und der Schuss auch nach hinten losgehen kann. Vielleicht bleiben dann DIE Pfadfinder eben nicht als tolle Jugendarbeit sondern als nervende Bettler im Gedächtnis der Leute. Solange ich der penetranten U-Bahn-Singerei jedoch nicht entgehen kann, heißt mein Motto, sobald ich eine Gruppe in der U-Bahn sehe ‚Zurückbleiben bitte’ – denn in vier Minuten kommt Gott sei Dank schon die nächste Bahn.

Von:

stammt aus dem VCP Hamburg. Hier ist sie im Stamm St. Rafael aufgewachsen und gründete 2008 den Stamm Astrid Lindgren, in dem sie bis heute aktiv ist. upsi hat schon diverses im Stamm und in verschiedenen Projekten im VCP gemacht und treibt sich gerne auf überbündischen Veranstaltungen herum. Sie schreibt zu allem, was sie gerade umtreibt, für schwarzzeltvolk.de.

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